Der Kursaal Bad Bertrich – gute Stube mit langer Geschichte
Von André Uzulis
Die „Bläck Fööss“ machten im Frühjahr 2022 den (Neu-)Anfang: Der Auftritt der Kölner Kult-Band lockte im April rund 500 Gäste nach Bad Bertrich, um die Wiedereröffnung des Kursaalgebäudes in Deutschlands ältestem Staatsbad zu feiern. Mehr als zwei Jahre lang lag der Kurort coronabedingt in einem Dornröschenschlaf. Die Zeit wurde genutzt, um das renovierungsbedürftige historische Gebäude von Grund auf instand zu setzen. Nun ist es erneut zentraler Anlaufpunkt am Kurgarten, wo vor 1700 Jahren schon die Römer im 32 Grad heißen Wasser der einzigen deutschen Glaubersalzquelle mit dieser Temperatur badeten.
Auch die Trinkhalle im Kursaalgebäude wurde wieder hergerichtet – nun in einer Art Grotte im Schiefergestein des direkt angrenzenden Palmbergs. Erstmals sind zwei der ehemals zwölf historischen Badewannen im Keller des Gebäudes zu besichtigen. Im Rahmen von Führungen erklären Mitglieder der Ortsgruppe Bad Bertrich des Eifelvereins, was es mit diesen Wannen auf sich hat – und warum sie nicht aus der Römerzeit stammen, wie manchmal kolportiert wird, sondern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Es war jener Palmberg, an dem sich 1865 eine Katastrophe ereignet hatte, die den Kurbetrieb in Bad Bertrich jahrzehntelang beeinträchtigte: Am 6. Februar 1865 zerstörte um 10 Uhr vormittags ein Bergsturz das so genannte „Neue Badehaus“ direkt am Fuße des Hangs. Dieses „Neue Badehaus“ , wie es im Gegensatz zu dem „alten Badehaus“ nebenan, dem Kurfürstlichen Schlösschen genannt wurde, war 1850/51 errichtet worden. Die 13 Badewannen im Keller des vom Trierer Erzbischof und Kurfürsten Clemens Wenzeslaus (1739-1812) gebauten Schlösschens waren dem Ansturm der Kurgäste nicht mehr gewachsen. Schon 1836 gab es einen Antrag auf den Bau von sechs weiteren Badezellen, der aber abgelehnt wurde, da die Befürchtung bestand, die Schüttung der Quelle würde nicht ausreichen, um diese zusätzlichen Wannen zu speisen.
Bad Bertrich erfreute sich im 19. Jahrhundert größter Beliebtheit bei Kurgästen aus ganz Deutschland und darüber hinaus. 1847 war sogar ein Baedeker-Reiseführer über den Ort erschienen – mit einem Vorwort von keinem geringeren als Alexander von Humboldt, der 1845 nach Bad Bertrich kam, um das Wasser der Glaubersalzquelle zu untersuchen. Humboldt befand, es sei „das milde Karlsbad“ – eine Bezeichnung, die sich bis heute erhalten hat. 1858 schrieb Octavius Rooke aus England – dem Land, wo der moderne Tourismus erfunden wurde – einen viel beachteten Reiseführer „The life of the Moselle“, in dem er seinen Landsleuten einen Besuch in Bertrich als „einem der schönsten Plätze in Europa“ empfahl. Prompt stieg der Anteil der englischen Gäste in Bad Bertrich von 1,7 Prozent auf zwölf Prozent. Der Gäste-Boom traf in Bad Bertrich auf eine nicht mehr angemessene Infrastruktur. Schon die Bausituation um den alten Trinkbrunnen war unwürdig, denn er befand sich unter einem Zeltdach. Es musste etwas geschehen.
In dem „Neuen Badehaus“, das 1850/51 am Fuß des Palmbergs gebaut wurde, standen nach Fertigstellung im Keller zwölf weitere Badekabinen neben den 13 im Kurfürstlichen Schlösschen für die Gäste zur Verfügung. Etwas später, 1858, fand auch der Trinkbrunnen in einer Trinkhalle ein angemessenes Ambiente. Wegen des nur schwachen Quelldrucks lag der Trinkbrunnen zwei Meter tiefer als heute, 14 Stufen führten zu ihm herab. Die Halle war schon damals als Felsgrotte gestaltet. Der Bad Bertrich in der Mitte des 19. Jahrhunderts prägende Badeinspektor – heute würde man sagen: Kurdirektor – Carl Wilhelm Steffens hatte allerdings vor dem Bau des „Neuen Badehauses“ gewarnt; er ahnte wohl, dass die Lage am Fuße des ungesicherten Palmberg-Hangs früher oder später zu Problemen, wenn nicht sogar zu einer Katastrophe führen musste. Die Badekabinen waren überdies zu dunkel und schlecht belüftet und wurden am Ende nur wenig frequentiert.
Als an jenem Februarvormittag 1865 der Bergsturz das „Neue Badehaus“ vernichtete, soll sich der Badeinspektor so sehr gegrämt und sein Lebenswerk für Bad Bertrich beschädigt gesehen haben, dass er ein halbes Jahr später, am 18. September 1865, darüber verstarb. Steffens’ Grab befindet sich an der Evangelischen Kirche im Römerkessel in Bad Bertrich. Von dem zerstörten „Neuen Badehaus“ blieben nur jene zwei Badezellen erhalten, die heute wieder zugänglich sind und die ein steinernes Zeugnis für den Kurbetrieb Mitte des 19. Jahrhunderts sind.
Bis 1866 wurden die Trümmer des „Neuen Badehauses“ abgetragen und anschließend ein Provisorium errichtet, das als „Wandelbahn“ bekannt wurde– ein einstöckiges, später dicht mit Efeu bewachsenes Gebäude, in dem die Kurgäste nun wandelnd ihrer Trinkkur nachgingen: das Quellwasser vor den Mahlzeiten bedächtig zu sich nehmend und dabei langsam auf- und abgehend. Zwar entwickelte sich diese Wandelbahn im Laufe der Jahrzehnte zu einem beliebten Treffpunkt von Kurgästen und zu einem Ort, an dem sie auch Kurkonzerte erleben könnten. Doch letztlich blieb das Ganze ein Provisorium, mit dem die Bertricher und ihre Gäste mehr als 60 Jahre lebten – und das bei beständig wachsendem Publikumsverkehr. Denn die 1879 nach fünfjähriger Bauzeit errichtete Bahnlinie Koblenz-Tier machte den Kurort über den Bahnhof Bullay leichter erreichbarer denn je; entsprechend wuchs das Gästeaufkommen. Bad Bertrich machte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endgültig den Wandel vom Eifeldorf in einem tief gelegenen Talkessel zu einem mondänen Kurort durch.
Während der Bau eines würdigen Nachfolgers des zerstörten Kurhauses auf sich warten ließ, wurde immerhin die Trinkhalle 1904 neu gestaltet. Erst nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigte man sich mit einer grundlegenden Neugestaltung der baulichen Situation. 1926 wurde dann endlich unter der Ägide des langjährigen Badeinspektors Bruno Elert, der 30 Jahre lang, von 1899 bis 1929, dieses Amt innehatte, der Bau eines neuen Kurhauses in Angriff genommen, dessen Eröffnung 1928 stattfand. Dabei handelt es sich um jenes neobarocke Gebäude, das 2022 nach grundlegender Renovierung nun wieder ein Glanzpunkt des Badeorts ist.
Im Erdgeschoss konnten die Kurgäste von Ende der 1920-er Jahre wie eh und je wandelnd ihr Glaubersalzwasser genießen. Diese Wandelhalle war zwischen den Rundbögen zum Kurgarten hin offen. In den 1950er-Jahren setzte der damalige Kurdirektor Wilhelm Hammer durch, dass diese Bögen verglast wurden; aus der Wandelhalle wurde somit ein kleiner Kursaal, auf dessen Bühne auch im Winter musiziert werden oder Vorträge gehalten werden konnten – ein zukunftsweisender Akt der Saisonverlängerung.
In den Alleegarten hinein entstand eine neue Wandelhalle, an dessen Kopf auch die Trinkhalle einen neuen Platz fand. Heute erinnern Stelen und eine Glasfront mit Zitaten der Schriftstellerin Clara Viebig an dieses 2014 abgerissene Gebäude, das städtebaulich doch arg das Schlösschen und das benachbarte Parkhotel bedrängt hatte.
Die Zeit der „Sozialkur“ und des Massenansturms war da schon längst vorbei. 1957 besuchten 12.000 Kurgäste Bad Bertrich. Die Rentenreform im selben Jahr wies den Kurorten verstärkt Aufgaben in der Prävention zu. In allen etwa 400 Kurorten in der Bundesrepublik öffneten Kurkliniken, das Badewesen erlebte einen Boom. Mit 16.300 Kurgästen und 400.000 Übernachtungen erlebte Bad Bertrich 1966 einen Rekord. Am 4. Januar 1973 begrüßte die Kurverwaltung gar den 400.000 Kurgast seit 1948. Das Kursaalgebäude war der glanzvolle Mittelpunkt des Kur-Ensembles inmitten der Gemeinde.
Doch der Zahn der Zeit nagte an diesem Schmuckstück. Die letzte Renovierung hatte es in den Jahren 1965/66 gegeben. Der Putz machte Problem, die Hangsicherung war ein Dauerthema, der Brandschutz entsprach nicht mehr den Erfordernissen. Undichte Stellen im Dach, eine veraltete Haustechnik und Heizung sowie eine nicht mehr zeitgemäße Inneneinrichtung führten zu Überlegungen einen grundlegenden Sanierung. Hinzu kam ein ganz spezifisches Problem: das Salz der Quelle hatte für Ausblühungen und Schimmel in Wänden und Boden geführt. 2018 vergab der Gemeinderat den Planungs- und Durchführungsauftrag an das Architekturbüro Michael Stoffel aus Dreis. Nach einer Planungsphase begannen im Februar 2020 Bauarbeiten.
Während der Renovierungsphase wurde die Kursaalkapazität von 200 auf 500 Gäste hochbeantragt, was die Möglichkeiten der Nutzung für Veranstaltungen aller Art deutlich erweiterte. Dies hatte allerdings umfangreichere Brandschutzmaßnahmen zur Folge, was schließlich zu einer Bauzeitverzögerung von etwa einem Jahr führte – und zu einer Kostensteigerung. Am Ende kostete die gesamte Renovierung die öffentliche Hand mehr als zwei Millionen Euro. Sie wurde im Wesentlichen aus Mitteln des Strukturprogramms des Landes Rheinland-Pfalz finanziert.
Nach der Neueröffnung im Frühjahr 2022 ist das alte neue Kursaalgebäude Teil eines Veranstaltungskomplexes, der unter dem Claim „KulturRaum Bad Bertrich“ von der GesundLand Vulkaneifel GmbH vermarktet wird und zu dem auch das Kurfürstliche Schlösschen mit seinem Festsaal gehört, dem Gründungsort des Eifelvereins im Jahr 1888. Egal ob Hochzeiten und Familienfeiern, Lesungen und Konzerten oder Tagungen und Kongressen: Bad Bertrich bietet jetzt wieder einen würdigen Rahmen für Veranstaltungen aller Art auf dem neuesten Stand der Technik in einmaliger architektonischer Ästhetik – und einer landschaftlichen Lage, die ihresgleichen sucht.